Liebe Freunde der Kirchengemeinde Norddörfer!

ZUVERSICHT

Es ist Sommer. Es regnet. Es ist kalt. Stefan und ich sitzen im Strandkorb. Barfuß. Kurze Hose. Nasses T-Shirt. „Wir lassen uns vom Wetter weder den Strand vermiesen noch die Kleidung vorschreiben. Wir sind freie Menschen und bestimmen selbst, wann Sommer ist!“ Mit diesen Worten hat Stefan sich von seiner Familie verabschiedet und Dresscode sowie Tagesplan für uns beide bestimmt. Stefan ist Philosoph. Für den Broterwerb hat er eine sehr gut dotierte Stelle bei einer großen Versicherung angenommen. Dort beschäftigt Stefan sich mit Risikoabschätzung. Im Kopf und im Herzen ist er ein Freund der Weisheit geblieben. „Du kannst das Wetter nicht ändern. Das Einzige, was Du ändern kannst, ist Deine Einstellung zum Wetter. Das Denken bestimmt das Fühlen! Ich liebe es zu denken! Es ist die einzige wirkliche Freiheit, die wir haben!“

„Du meinst“, sage ich, „wenn ich für mich bestimme, dass jetzt Sommer ist, fühlt sich mein T-Shirt trocken an und ich friere nicht mehr?“ Stefan lacht: „Einen Versuch wäre es wert… Aber im Ernst:
Es ist schön, dass Du Dich darauf eingelassen hast, mit mir in Sommerkleidung zum Strand zu gehen anstatt zu jammern und die nächsten Stunden missgelaunt vor dem Fernseher zu verdaddeln. Wir werden uns auch noch morgen an diesen Tag erinnern, meine Familie nicht.“

Möwen kreischen. Vereinzelt taucht ein Hund mit dick vermummten Herrchen oder Frauchen schemenhaft am Flutsaum auf. „Hast Du Hoffnung, dass es dieses Jahr noch Sommer wird?“ fragt Stefan und lächelt verschmitzt. Es ist eine Fangfrage, das lässt mich vorsichtig antworten. „Wenn ich
keine Hoffnung mehr hätte, wer sollte dann noch Hoffnung haben?“ antworte ich. „Wohl wahr, Rainer.“ bestätigt Stefan. „Du bist zur Hoffnung berufen! Ich hoffe zwar nicht, aber ich bin in fast allen Lebenssituationen sehr zuversichtlich. Übrigens auch, was den Sommer angeht.“ Der Wind hat gedreht. Eine Böe treibt den Regen direkt zu uns herüber. Wir stehen auf, drehen den Strandkorb. Statt aufs Meer blicken wir auf die Düne.

„Worin besteht für Dich der Unterschied?“ frage ich und lächle dann. „Ich bin hoffnungsvoll zuversichtlich!“

„Oh“, hebt Stefan an: „Hoffnung und Zuversicht ähneln sich und sind doch grundverschieden!“ „Das musst Du mir genauer erklären“, bitte ich. Stefan antwortet: „Hoffnung ist Ausdruck des Wunsches, dass sich bestimmte Ereignisse oder Zustände in Zukunft positiv entwickeln. Hoffnung ist wie inneres Licht, das uns durch schwierige Zeiten führt. Sie ist eine Antriebskraft, trotz widriger Umstände weiterzumachen, in der Erwartung, dass sich irgendwann etwas zum Besseren wendet.“

„Das beschreibt genau, was ich empfinde: ein inneres Licht, das nach außen strahlt. Hoffnung zu schenken bedeutet für mich, dass dieses Licht auch für andere die Dunkelheit aus ihrem Leben und ihrer Welt vertreibt! Das hast Du schön formuliert, Stefan!“

„Ja“, sagt Stefan, „aber ich war noch nicht fertig. Hoffnung ist allerdings auch mit Unsicherheit verbunden: Sie bezieht sich auf Dinge, die wir nicht vollständig kontrollieren können. Hoffnung gründet sich nicht auf Beweise, hat also keinen Anhalt an der Wirklichkeit. Ich will gern zugestehen, dass Hoffnung in aussichtslosen Situationen hilft zu überleben, aber ich brauche Fakten. Deshalb bezeichne ich mich eher als zuversichtlichen Menschen.“

„Weil Deine positive Lebenseinstellung nicht irrational ist, sondern sich auf Tatsachen gründet?“ frage ich. „So ungefähr. Zuversicht gründet sich auf Erfahrung und Analyse. Und es gibt noch einen wichtigen Unterschied für mich: Hoffnung ist eher passiv, Zuversicht dagegen aktiv. Als Zuversichtlicher warte ich nicht, dass sich alles zum Guten wendet, sondern ich setze alles daran, dieses Ziel auch zu erreichen.“ „Das klingt mir alles zu theoretisch. Wo hat Dich denn Deine Zuversicht ein Ziel erreichen lassen?“ frage ich. Und Stefan überlegt und antwortet dann: „Mein Leben ist eine Geschichte der Zuversicht. Du weißt ja, mein Vater war kleiner Angestellter, meine Mutter Kassiererin im Supermarkt. Schon dass ich studieren wollte, war ihnen suspekt. Und dann noch Philosophie. Brotlose Kunst. Ich war überzeugt, dass ich es schaffen würde, trotz mittelmäßigem Abitur. Zuversicht gründete sich auf meine Begeisterung zu lesen. Später auf den Zuspruch der Professoren. Und am Ende darauf, dass mir Menschen Chancen gaben. Einige davon habe ich genutzt, längst nicht alle. Zuversicht speist sich bei mir daraus, dass Menschen mich lehrten, meiner Intuition und meinen Fähigkeiten zu trauen.“

„Deshalb bezeichnest Du Dich eher als Zuversichtlichen, nicht als Hoffenden?“ „Ja, ich bin kein Hoffender. Passiv sein liegt mir nicht. Ich muss die Dinge anpacken und gestalten!“ „Das verstehe ich gut!“ Inzwischen hat der Regen eine Pause eingelegt. Wir drehen den Strandkorb zurück. Die Sonne kämpft sich mit ein paar Strahlen mühsam durch die Wolkendecke. Ein Regenbogen spannt sich über das Meer – und vom Bogen rieseln ein paar Tropfen auf Meer und Strand.

Stefan hat Recht: die Gedanken bestimmen das Fühlen. Ein nasses T-Shirt und dieser Regenbogen? Es fühlt sich warm an. „Ich muss mich korrigieren, Stefan“, sage ich: „Ich bin ein zuversichtlich Hoffender!“ Stefan schaut mich erwartungsvoll an: „Jetzt musst Du mir sagen, was Du damit meinst.“ Ich antworte: „Deine Unterscheidung finde ich sehr einleuchtend: das passive Unbestimmte der Hoffnung und das aktive Realitätsnahe der Zuversicht. In meinem Leben war beides für mich wichtig: Es gab Situationen, in denen schier alles zum Verzweifeln und dunkel war. Krankheit, Trauer. Sehr dunkle Tage. Und ich wusste nicht, ob sie jemals enden werden. Was mich getragen hat, war Hoffnung: Diese unbestimmte, positive Kraft des „Aber Trotzdem“, ein Licht zu sehen, obwohl der Tunnel nicht endet. Und ich brauchte die Zuversicht, das Licht nicht nur zu sehen, sondern darauf zuzugehen, Schritt für Schritt. Und mit jedem Schritt wurde es tatsächlich heller. Das passive „Trotzdem“ war wichtig in diesen Situationen, ebenso aber sich aufzumachen, anzupacken, etwas im Leben zu ändern – und Erfolg dabei zu haben. Wie Du es sagst: die Zuversicht. Ich bin ein zuversichtlich Hoffender!“

Wir machen uns auf den Rückweg. Triefend nass und glücklich, die letzten Stunden im sommerlichen Strandkorb und nicht im herbstlich geheizten Haus verbracht zu haben. „Eines musst Du mir auf regenfreie Tage Hoffenden noch sagen: Wieso bist Du so zuversichtlich, dass der Sommer noch einkehrt?“ Stefan lacht und holt sein Handy aus der Tasche: „Ich habe auf die Wetter-App geschaut: ab morgen nur noch Sonne. Sonne. Sonne!“

Mit der hoffnungsvollen Zuversicht
auf viel Gutes in diesem Sommer,
grüßt Sie und Euch,


Ihr und Euer Pastor Rainer Chinnow
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