Liebe Freunde der Kirchengemeinde Norddörfer!

TRÄUME DIR DEIN LEBEN SCHÖN UND MACH’
AUS DIESEN TRÄUMEN DIE WIRKLICHKEIT

MarieCurie
Physikerin und Nobelpreisträgerin

Ein klarer Wintertag. Jennifer und Morten aus meiner alten Hamburger Gemeinde besuchen mich. Vor 32 Jahren habe ich beide konfirmiert. Die Sonne scheint. Wir gehen von Morsum nach Keitum, das Watt leuchtet blauschwarz, in der Ferne der Kirchturm von St. Severin.

„Jennifer lebt mit ihren drei Kindern allein in Altona. Ihr Name schmückt eine erfolgreiche Kanzlei in der Hamburger Neustadt. Morten ist in Eidelstedt geblieben. Er hat das elterliche Reihenhaus renoviert. Morten hat verschiedene Studiengänge von BWL bis Politologie ausprobiert. Am Ende hat er die Verwaltungslaufbahn eingeschlagen. Inzwischen ist er Abteilungsleiter in der Finanzbehörde, glücklicher Vater von zwei Kindern und Ehemann. Jennifer und Morten haben ihr Leben im Griff – und ich freue mich, dass sie ihren Pastor aus Jugendtagen besuchen.

„Warum hat sich Dein Mann eigentlich von Dir getrennt, Jennifer? Das habe ich nie verstanden.“ fragt Morten.
„Ich auch nicht“, sagt Jennifer. „Damals wusste ich nicht, ob ich es hinkriege. Vor zehn Jahren war der Jüngste gerade drei Jahre alt. Heute bin ich froh, dass es so gekommen ist!“

„Warum? Mir schien es immer so, als würdet Ihr beide wunderbar zusammenpassen: Jennifer und Daniel – Jung, schön, ehrgeizig und eloquent. Ich habe Euch beneidet: Ihr wusstet, was Ihr wolltet. Ich war die meiste Zeit auf der Suche.“
„Anfangs stimmte alles. Schwierig wurde es, als ich immer erfolgreicher in der Kanzlei wurde und Daniels Karriere stockte. Er war ja der Mann – und ich kam schneller voran und verdiente mehr Geld. Als ich nach der Geburt unseres dritten Kindes fragte, ob er sich vorstellen könnte, dieses Mal Elternzeit zu nehmen, wurde es schwierig. Er hat sich darauf eingelassen, aber wir beide haben uns aus den Augen verloren. Später hat er gesagt, ich hätte ihm seine Männlichkeit genommen.“
Morten bleibt stehen.
„Irgendwie kann ich das verstehen. Ich habe immer gearbeitet. Silvia wollte mit den Kindern zuhause bleiben. War für uns beide okay. Da gab es gar keine
Diskussion, das war einfach…“
Morten sucht nach dem richtigen Wort:
„Das war einfach selbstverständlich!“ ergänzt er.
Jennifer schaut ihm gerade ins Gesicht: „Es ist nicht selbstverständlich. Und deshalb bin ich froh, dass es so gekommen ist. Was habt ihr Männer ein Problem damit, dass Frauen erfolgreich sind? Dass sie ihren Job genauso gut – oder ich würde sagen: in vielen Fällen besser machen als ihr? Warum verliert der Kerl seine Männlichkeit, wenn die Partnerin mehr Geld verdient als der Partner? Ist mehr Geld verdienen männlich? Und ein geringeres Gehalt weiblich? Ist Karriere machen männlich? Und Haus und Kinder versorgen weiblich? Dann habe ich wohl meine Weiblichkeit verloren!“ – Jennifer ist von Satz zu Satz nicht lauter, aber spürbar emotionaler geworden. Hätte ein Tisch vor uns gestanden, sie hätte mit der Faust darauf gehauen.
Morten ist beeindruckt, aber keineswegs sprachlos. „Pack’ mich nicht in die Schublade ,alter weißer Mann’, Jennifer. Da gehöre ich nicht hin. Glücklicherweise können Frauen inzwischen Karriere machen.“

„Ja“, sagt Jennifer, „aber sie bleiben dann oft allein! Karriere, Partnerschaft und Familie hat zumindest bei mir nicht geklappt. Starke Frauen sind eher für ein kurzes Abenteuer, aber nicht für eine echte Partnerschaft begehrt.“
Wir gehen weiter, scheuchen einen Schwarm Ringelgänse auf, der sich in den Wiesen hinter Morsum niedergelassen hat.
Morten fragt: „Meinst Du, dass sich die Frauen entwickelt haben, aber wir Männer in den letzten Jahrzehnten stehengeblieben sind? Dass die meisten Männer zwar sagen, dass sie Gleichberechtigung gut finden, den Frauen eine tolle Karriere wünschen und selbstverständlich für die Kinder genauso gern und liebevoll da sind, aber im Grunde ihres Herzens fühlen: Der Mann sorgt für den Unterhalt und die Frau sorgt für Kind und Haus. Und wenn die Frau die Lippenbekenntnisse einfordert, dann gerät die Partnerschaft in Schieflage: Die Liebe schwindet und der Mann fühlt sich schwach. Meinst Du, wir Männer sind vielleicht nicht alle alt und weiß, aber etwas zurückgeblieben?“

Jennifer lächelt: „Nein, Morten, ich kenne Dich schon mehr als mein halbes Leben. Du bist nicht zurückgeblieben. Du bist zufrieden. Und das ist schön. Du hast eine Frau gefunden, mit der Du ohne große Diskussion die Rollen so aufgeteilt hast, wie es für Dich und für sie passte. Bei mir war es anders, weil ich die Rolle nicht wollte, die mein Partner mir zugedacht hat. Deshalb ist meine Erfahrung aber, dass wir in unserem Land noch längst keine Gleichberechtigung von Männern und Frauen leben. Wir bewegen uns in alten Rollenklischees. Nicht, weil wir es müssten, sondern aus Bequemlichkeit, aus Angst, aus erlernten Rollenmustern. Und es wird nicht besser, wenn man sich anschaut, was für Männer sich gerade anschicken, die Welt neu aufzuteilen: Ängstliche Soziopathen, die glauben, dass Männlichkeit darin besteht, andere klein zu machen, auszubeuten und mit Gewalt ihren Willen aufzuzwingen, damit sie sich stark fühlen können. Das ist arm und krank. Die letzten Jahrzehnte waren für uns Frauen ein Fortschritt, aber das Ziel liegt noch in weiter Ferne. Jetzt ist die Gefahr groß, dass wir uns zurückentwickeln.“

Plötzlich bleiben beide stehen. Morten schaut mich an und fragt: „Und was sagst Du weiser Mann dazu? Im Konfirmandenunterricht haben wir über Gott und die Welt diskutiert, über Liebe gesprochen und wie wir uns die Zukunft vorstellen, wenn wir 25 Jahre alt sind. Ich kann mich aber nicht erinnern, dass wir über Gleichberechtigung gesprochen hätten. Was sagt die Bibel dazu? Sind Männer und Frauen vor Gott gleich geachtet? Oder weist die Bibel den Männern einen anderen Ort in der Gesellschaft zu als den Frauen?“

Plötzlich komme ich mir wieder wie ein Lehrer im Konfirmandenunterricht vor und nicht wie ein Freund von alten Bekannten, die demnächst das fünfte Lebensjahrzehnt erreicht haben. „Mir war und ist immer wichtig gewesen, dass vor Gott alle Menschen das gleiche Ansehen haben. Alle. Selbstverständlich auch Männer und Frauen – und so ergänze ich heute gern: auch das dritte Geschlecht.“
Jennifer unterbricht mich: „Ja, Rainer, das hast Du sehr schön gesagt, als wärst Du Gast in einer Talkshow! Politisch korrekt. Und jetzt bitte einmal ungefiltert frei raus: Wie sieht es für Dich aus als Pastor? Was sind Deine Erfahrungen zum Thema Gleichberechtigung? Wo stehen wir, und sind wir da, wo wir sein sollten?“
„Kurz gesagt“, antworte ich, „die Bibel ist da ganz klar: Mann und Frau haben vor Gott das gleiche Ansehen. Wie sollte es auch anders sein: Er hat beide geschaffen und ins Leben gerufen. Klar ist auch: Der Kulturraum der Bibel war patriarchalisch geprägt. Dennoch erzählt die Bibel viel von starken, selbstbewussten, erfolgreichen und wehrhaften Frauen. In unserer Gemeinde haben gerade zwei Frauen von Mirjam und Deborah im Gottesdienst erzählt. Jesus hatte mindestens eine starke Frau in der Jüngerschar: Maria Magdalena. Vermutlich aber wird es weitere gegeben haben. Paulus hat auf seinen Reisen die erfolgreiche Geschäftsfrau Lydia kennengelernt. Und das junge Christentum war nicht zuletzt deshalb attraktiv, weil Frauen in der Gemeinde ebenso anerkannt waren wie Männer. Das war ein Gegenentwurf zu der Gesellschaft, in der sie lebten.“

Morten sagt: „Soviel zur Geschichte. Wo stehen wir heute? Wo steht Deine Kirche? Wo stehst Du?“
Ich sage: „Für mich ist selbstverständlich, dass Frauen und Männer die gleichen Rechte und die gleichen Pflichten haben. Nicht nur vor Gott, sondern auch in der Gesellschaft. Ich sehe, dass wir längst nicht am Ziel sind. Ich sehe, dass wir bewusst oder unbewusst in alten Rollenklischees verhaftet sind. Es ist ein Drama, dass Männer Angst haben vor Frauen, die erfolgreich sind. Da stimme ich Jennifer zu. Von erfolgreichen Frauen im Beruf wird erwartet, dass sie auch zuhause perfekt sind: perfekte Mutter, perfekte Ehefrau – und strahlend den Job erfolgreich machen – wer soll diese Erwartung erfüllen? Weder Mann noch Frau ist dazu fähig. Gott erwartet nicht, dass wir perfekt sind. Was er zu Recht von uns erwarten darf: Dass wir uns respektieren. Nicht mit Worten, sondern mit Taten und mit brennendem Herzen. Was er noch erwarten darf: Dass wir aufhören, neidisch zu sein – und dass wir über den Neid nicht die Liebe zum Partner, zur Partnerin verlieren. Und Gott darf erwarten, dass wir uns gegenseitig stützen und fördern anstatt uns als Frau / als Mann in Rollen zu zwängen, in denen wir verkümmern.“

Wir sind in Keitum angekommen. Ein paar Schritte sind es nur vom Watt zur Kirche St. Severin.
„Und wo stehen wir heute beim Thema Gleichberechtigung?“ fragt Jennifer.
„Wir sind auf dem Weg“, sage ich. „Ein paar unbelehrbare alte Männer haben es auf die Titelseiten der aktuellen Politik geschafft. Das ist ein Rückschritt. Aber liegt es nicht an uns und an unseren Kindern und Enkeln, welche Geschichte wir weiterschreiben wollen? In unserer Kirche jedenfalls ist es in den vergangenen dreißig Jahren selbstverständlich geworden, dass Frauen und Männer gleichberechtigt gestalten und entscheiden. Meine Hoffnung ist, dass der Gott der Bibel daran seine Freude hat.“ Und dann betreten wir den Friedhof, gehen vorbei an Grabplatten, vorbei an Ing und Dung, den beiden markanten Steinen. Ich öffne die Tür und wir zünden im Turm drei Kerzen an. Stille. Gebet. Möge Gott uns schützen und spüren lassen, dass er mit uns ist auf unserem Weg!“

Mit dieser Ausgabe wollen wir unsere Gemeindemitglieder und alle, die sich uns zugehörig fühlen, dazu anregen, das Thema Gleichberechtigung beherzt zu diskutieren.

Einen frischen Frühling wünscht
Ihr und Euer


Ihr und Euer Pastor Rainer Chinnow
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