Liebe Freunde der Kirchengemeinde Norddörfer!

EIN SPAZIERGANG UND DER HEILIGE GEIST

„Was ist nun mit dem Heiligen Geist? Hilft es, wenn ich ihn anrufe, dass er die dunkle Wolke über uns vertreibt?“, fragt Heidrun, die neue Partnerin von Heiko. An diesem strahlenden Sommertag haben wir uns zur Uwe-Düne aufgemacht. Heidrun ist das erste Mal auf Sylt. Sie kommt aus Oberstdorf. Ich hatte ihr erzählt, dass wir den höchsten Berg Sylts besteigen werden. Sie solle sich besser festes Schuhwerk anziehen und wetterfeste Kleidung mitnehmen. Es war ein Scherz. Heidrun hatte die Ironie nicht verstanden. Sie ist die einzige von uns dreien mit Wanderschuhen und Rucksack. Heiko und ich tragen Flip-Flops, T-Shirts und kurze Hosen. Heidrun muss natürlich lachen, als wir die Treppe zur Uwe-Düne erklimmen. Die tiefschwarze Wolke bleibt über uns stehen, als wäre die kleine Erhebung wirklich ein Berg in einem Gebirge. „Nein“, sage ich, „der Heilige Geist weht zwar, wo er will, aber dass er Regenwolken vertreibt? Nein, davon wird in der Bibel nichts berichtet!“ Kaum habe ich die Worte ausgesprochen, entlädt sich die Wolke mit Macht. Heidrun hat sich vorbereitet und ihr Regencape angezogen. Heiko und ich dagegen sind klitschnass. Nach drei Minuten ist der Spuk vorbei.

Heidrun geht lachend neben uns beiden frierenden Männern. Heiko ist gar nicht nach Lachen zumute: „Wehen tut er also, wo er will, aber Regenwolken an einem sonnigen Himmel kann er nicht ein paar Meter verschieben. Und für ein paar Grad wärmere Sonnenstrahlen kann er wohl auch nicht sorgen, oder? Was kann er denn überhaupt, der Heilige Geist?“ „Oh, sehr viel!“, antworte ich. „Der Heilige Geist stiftet Gemeinschaft. Dass wir Pfingsten, Ostern, Weihnachten feiern, ist sein Werk.“

Heidrun lacht: „Mensch, Rainer, dann hat er sich wohl gerade verabschiedet.“ „Wie kommst Du denn darauf?“, frage ich. „Naja, die Gemeinschaft implodiert gerade. Egal, ob evangelische oder katholische Kirche: Die Leute treten in Scharen aus. Ich gehöre auch dazu. Erst die ganzen Missbrauchsskandale und dann hing bei uns monatelang an Pastorat und Kirche das Schild: ‚Wegen Corona geschlossen‘. Spätestens da habe ich gemerkt: Es geht auch ohne Glocken und Weihrauch!“ Heiko mischt sich ein: „Rainer, nimm es nicht persönlich. Heidrun ist eher der undiplomatische Typ! Allerdings muss ich ihr Recht geben: Die irdische Kirche macht es einem nicht leicht, ihr treu zu bleiben. Statt nah bei den Menschen zu sein, wird fusioniert. In vielen Dörfern und Stadtteilen gibt es weder Kirche noch Pastorin. Gottesdienste finden irgendwann und irgendwo statt oder sind ganz abgeschafft. Würde ich meine Firma so führen, wäre ich schon längst pleite! Da ist doch weder das Produkt – also ,die Botschaft vom lebendigen Gott‘ – sichtbar, noch gibt es engagierte Verkäufer, also das Bodenpersonal, das an diesen lebendigen Gott glaubt. Das hat weniger mit ,demografischem Wandel‘ zu tun als vielmehr mit hausgemachten Problemen. Wo soll das Geld auch herkommen? Wenn man die
Filialen dichtmacht und verkauft, bleibt die Kundschaft weg!“ Heiko ist vor Zorn rot
angelaufen: „Ich hoffe auf den Heiligen Geist und dass er sich entschließt, mal wieder zu wehen durch Kirchenämter, Propstenstuben und Bischofssitze!“

„Das hoffe ich auch, Heiko! Doch der Heilige Geist ist auch jetzt schon immer wieder spürbar!“, sage ich. „Wo denn?“, fragt Heidrun. „Der Heilige Geist verschiebt zwar keine Regenwolken, aber er ist überall dort sichtbar, wo es lebendige Gemeinschaft gibt!“, antworte ich. „Klingt irgendwie unbestimmt. So als wüsstest Du selbst nicht, wo er aktuell weht“, erwidert Heiko. „Ein leuchtendes Beispiel ist für mich die praktische Nächstenliebe, die Diakonie. In Hamburg gibt es das ‚Café Sperrgebiet‘. Da kümmern sich engagierte Christinnen um Prostituierte. Wenn Du sie schon nicht schützen kannst vor sexueller Gewalt, so kannst Du sie als Christ wenigstens begleiten und ihnen helfen. ‚Hinz und Kunzt‘, die Zeitung für Obdachlose, ist für mich ein Zeichen des Heiligen Geistes. Viele Männer, Frauen und Kinder haben durch die Zeitung auf ihr Schicksal aufmerksam gemacht, Achtung erfahren und ganz konkret Wohnung und Arbeit bekommen. Zwei kleine Beispiele. Doch es gibt so viele mehr. Auf unserer kleinen Insel kannst Du viele sehr engagierte Christinnen und Christen sehen. Lebendige Gemeinschaft. Und neben den Schildern: ‚Wegen Corona geschlossen‘ gab es auch eine ganze Reihe Gemeinden, die genau den umgekehrten Weg gegangen sind und sehr kreativ und offensiv per Video, Twitter, Telefon oder Brief in ihren Gemeinden präsent waren. Der Heilige Geist weht seit 2.000 Jahren. Die Frage ist: Nehmen wir sein Brausen wahr in unserem Leben?“

Definition ,Heiliger Geist’ – eine Annäherung

Etwas blumig und sicher nicht besonders heilig formuliert, besitzt Gott drei unterschiedliche „Aggregatzustände“:
Zunächst ist er Gott der Vater, der Schöpfer des Himmels, der Erde und aller Lebewesen. Dann ist er Jesus Christus, der Sohn, der Mensch geworden ist. Und dann zeigt Gott sich als Heiliger Geist, der den Menschen den Glauben schenkt, die Kraft, den inneren Frieden und die Liebe. Der Heilige Geist wirkt also kollektiv und wird auch von jedem individuell wahrgenommen. Es ist Spiritualität im christlichen Sinne. Der Heilige Geist ist also gleichzusetzen mit der Wahrnehmung von all dem, was größer ist als wir, was mehr ist als die Summe aller erklärbaren Dinge. Das Symbol für den Heiligen Geist ist die Taube.

„In der Kirche ist also alles in Ordnung?“, fragt Heidrun mit einem deutlich hörbaren ironischen Unterton. „Nein, natürlich nicht“, antworte ich. „Über machttrunkene, eitle und beratungsresistente Kirchenobere habe ich mich oft genug geärgert. Heute sage ich: verschenkte Lebenszeit. In diesen Zeiten habe ich das sanfte Wehen des Heiligen Geistes nicht wahrgenommen. Heute sage ich: Der Heilige Geist weht dort, wo er mich erkennen lässt, dass in mein Herz nicht Furcht, Frust oder Wut einziehen sollen, sondern Kraft, Liebe und Besonnenheit. Deshalb denke ich, dass er uns manche Kirchenfürstin und Kirchenfürsten beschert hat als Prüfung: Wie stabil ist seine Kirche auf Erden? Und wie viel Liebe ist in ihr, dass sie die Prüfung durch sie besteht und lebendig bleibt!“

Inzwischen sind wir in Wenningstedt angekommen. Die Wege sind trocken, hier hat es in den letzten Stunden nicht einen Tropfen geregnet. „Kirche ist also nur eine Frage der Perspektive? Und das Wirken des Geistes nur eine Frage der Wahrnehmung?“, fragt Heidrun mich. „Es ist wie mit dem Tag heute: Was bleibt Dir in Erinnerung? Die Sonne? Der Wolkenbruch? Unser Gespräch? Das Spüren unserer Freundschaft? Was war Geschenk? Was war Zumutung? Ja, eine Frage der Perspektive und der Wahrnehmung. Für mich wirkt Gott durch den Heiligen Geist gerade dort, wo er mich lehrt, das Ganze dankbar anzunehmen!“

Viele intensive Gespräche im Sommer auf Sylt wünscht Ihnen und Euch


Pastor Rainer Chinnow

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