1. Gruppenspiel Deutschland gegen Mexiko

Es sollte ein Spektakel werden – das letzte Heimspiel in Deutschland, ein Torfestival, das Jogis Buben auf einer Euphoriewelle nach Russland tragen sollte. In Erinnerung bleiben die gellenden Pfiffe gegen einen deutschen Nationalspieler und das laute Schweigen derer, die dem Treiben zugeschaut haben. Euphorie, Sommermärchen und fröhlicher Nationalstolz sehen anders aus. Ganz anders.

„Er (Ilkay Gündogan) bekommt von uns totale Rückendeckung“, sagt Manuel Neuer. Und befindet sich damit auf einer Linie mit einem biblischen Psalmwort. „Siehe, wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen.“ (Psalm 133, 1)

Keine Frage, Özil und Gündogan haben einen Fehler gemacht und sind mitten in die Wahlkampf-PR Falle von Erdogan getappt. Allein: Fußballer sind junge Männer. Sie stehen nicht deshalb im Fokus der Öffentlichkeit, weil sie politisch weise handeln, sondern weil sie Artisten des runden Leders sind. Bei alten Männern mit deutschen Namen sind wir vergleichsweise großzügig im Urteil: Der Aufschrei über die Männerfreundschaft zwischen Altkanzler Schröder und Putin, die neue Liebe zwischen dem Autokraten Viktor Orban und Horst Seehofer war allenfalls mittellaut.

Wie soll man mit Brüdern und Schwestern umgehen, die einen Fehler gemacht haben? Die germanischen Pfeifenköpfe in Leverkusen sagen: „Alle raus!“ Die schweigende Mehrheit sagt in deutscher Tradition: „Ich schweige und wasche meine Hände in Unschuld.“ Manuel Neuer sagt: „Gündogan und Özil sind ein Teil unseres Teams.“ Einer für alle, alle für einen. Nur so gibt es Erfolg. Vor vier Jahren gehörten zum deutschen Team 81 Millionen: Alle, die in unserem Land leben. Es gab keinen Unterschied zwischen Hautfarbe, Namen, Herkunft. Jérôme Boateng wurde nach dem Gauland-Debakel im Stadion und in ganz Deutschland als „Unser Nachbar“ gefeiert. Für diese Integrationsleistung wurde der Star der WM, das Team, ausgezeichnet. Wie wird es 2018 werden?

„Fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen.“ Fein und lieblich ist es, wenn wir Menschen Konflikte fair austragen. Fein und lieblich ist, wenn wir eine Streitkultur pflegen, die nicht auf Geräuschen wie Pfiffen und Schreien, basiert. Fein und leiblich ist es, wenn wir Auseinandersetzungen nicht mit Mobbing und Gewalt lösen, sondern mit dem Ziel, einander zu verstehen. Fein und lieblich ist es, wenn wir erkennen, dass wir alle Fehler machen – und dass wir die Chance brauchen, aus Fehlern lernen zu können.

Ein teutonisches Pfeifkonzert spaltet und sät Zwietracht. Spaltung und Zwietracht gibt es längst zu viel – in Deutschland und in der Welt. Deshalb ist es gut, uns daran zu erinnern, was für den Erfolg auf dem Platz und für die Glücksbilanz in unserem Leben von elementarer Bedeutung ist: Dass wir Menschen als Schwestern und Brüder einträchtig beieinander wohnen. Wir brauchen einander.

Was macht Hoffnung für das Spiel gegen Mexiko? Zuerst: Dass Jogis Buben auswärts spielen. Wenn dann Boateng die Fehler von Kimmich ausbügelt, Gündogan den Patzer von Kroos bereinigt, Özil einen Abpraller im gegnerischen Tor versenkt und Khedira in letzter Sekunde auf der Linie klärt, dann ist alles gut, Deutschland ein einig Freudenmeer, Schritt eins auf dem Weg zum Titel vollbracht.

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